Wenn die Sucht nach mehr zum Wahn wird

Bauwerke sind Monumente, die man für die Ewigkeit schafft. So auch jenes, welches der wahnsinnige und abwesende Protagonist in „Der Tempelherr“ von Ferdinand Schmalz, welches vergangenen Freitag im Theater Freiburg seine Premiere feierte, erschafft, wobei sich der Prozess, der während des Stückes Revue passiert wird, als wahnsinnig für ihn herausstellte und am Ende sein Schicksal besiegelte.

Die Hagia Sophia in Istanbul, der Taj Mahal in Agra oder auch die Akropolis in Athen – all dies sind Monumente, die gerne auch aufgrund ihrer opulenten Bauweise als Tempel bezeichnet werden und in kürzester Zeit geschaffen wurden. So auch das neue Heim von Heinar und seiner schwangeren Frau Petra. Mit dem einen aber feinen Unterschied, dass dieser tempelgleiche Wohnkomplex, welcher von seinen Freunden und Bekannten bei der Enthüllung verdutzt sowie sprachlos betrachtet wird, im Gegensatz zu den genannten Bauwerken noch nicht ganz fertig ist und von einem Mann geschaffen wurde, der, so sein Freund und Architekt Markus, „überhaupt keine Ahnung davon hat, was er da macht“. Und so ist es die Entstehungsgeschichte selbst, welche in Eike Weinreichs Version im Vordergrund steht und die ganze Sache dadurch noch verrückter wirken lässt.

Eike Weinreich, der in der letzten Spielzeit mit dem Stück „Girls & Boys“ am Theater Freiburg sein erfolgreiches Debüt als Theaterregisseur feierte, liefert mit seiner Inszenierung von „Der Tempelherr“ einen Stoff, der aufgrund seiner Erzählweise aktueller denn je ist und zweifelsohne als ein ehrliches Spiegelbild sowohl der damaligen als auch unserer heutigen Gesellschaft bezeichnen kann. Dies zeigt vor allem seine Charakterisierung von Heinars Frau Petra, die von Angela Falkenhan furios und herausragend verkörpert wird. Sie schenkt ihrer Figur durch ihre teils stoische, in weiten Teilen aber sehr emotionale Art und Weise eine gewisse Tiefe, sodass schon bei ihrem ersten Auftritt im Stück klar wird, wer hier die eigentliche Protagonistin ist: eine Frau, die nach Außen glücklich zu sein scheint, im Inneren jedoch sehr gequält und gezeichnet vom Verlust ihres Mannes ist. Das Vertrauen von Weinreich in Falkenhan zahlt sich, wie schon bei „Girls & Boys“, über die gesamten, gut anderthalb Stunden des Stückes voll und ganz aus. Auch Thieß Brammers Verkörperung seiner Figur des Markus zeigt, dass Erfahrung als Architekt beim Erbauen eines solchen Komplexes durchaus bezahlt macht und man solchen Menschen doch lieber trauen sollte als es in Heinars Fall komplett allein zu machen. Seine Darstellung gibt das Gefühl wieder, dass der Bauwahn heutzutage im Allgemeinen anscheinend immer vom Architekten ausgeht. Die anderen Figuren werden von ihren Darstellern Hartmut Stanke, Marieke Kregel und Martin Hohner mit einer gehörigen Prise Humor, aber ebenfalls viel Tiefgang großartig dargestellt und zeigen uns, dass das „Volk“ durch verschiedenste Tricks stets kritisch gegenüber solchen Prunkbauten äußern möchte und sollte. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist die Szene, in der Petras Freundin Christina und ihr Mann Thomas sehr unterhaltsam das Fernsehteam imitieren, welches Heinar zu seinem Bau interviewen möchte.

Ragt aus dem großartigen Cast des Stückes heraus: Angela Falkenhan (Mitte) / Bild: Marc Doradzillo

Die Tatsache, dass Heinar sein „Haus“ nach antikem Vorbild bauen wollte, um seiner Meinung nach somit zurück zu den Wurzeln der Demokratie zurückzukehren, ist ein dramaturgisch genialer Kniff von Schmalz selbst. So gleicht seine Figur, die man in der Freiburger Inszenierung nie zu Gesicht bekommt, einer historischen Figur aus der Antike, die unter anderem auch durch ihren Bauwahn und die dadurch gezeigte Selbstinszenierung Berühmtheit erlangte: Alexander der Große. Seine Gründung und Errichtung von Alexandria sowie sein unbändiger Eroberungswahn kann wunderbar mit dem Bauwahn von Heinar verglichen werden. Zwei Männer, die mit wenig nicht zufrieden waren, deren Sucht nach mehr Selbstinszenierung in Wahn endet und deren Schicksal – jeweils natürlich auf unterschiedliche Art und Weise – dadurch besiegelt wird. Dies zeigt auch das Szenenbild von Paula Mierzowsky. Dies wird zunächst als Baustelle präsentiert, welche im Verlauf des Stückes jedoch nach und nach den Bauprozess von Heinar nachstellt, um dem Publikum am Ende wiederum einen Rohbau zu präsentieren. Dieser Rohbau steht sinnbildlich für so manche, unter Bauwahn mancher Städte und Bundesländer – repräsentativ hierfür die Figur des Kurt (Petras Vater), der den ganzen „Tempel“ finanziert hat – sich immer noch im Bau befindlichen Großprojekte wie der BER-Flughafen in Berlin, Stuttgart 21 oder auch das neue Stadion des SC Freiburg sowie der geplante Stadtteil Dietenbach, aber auch abgeschlossenen Bauwerken wie die Elbphilharmonie in Hamburg: der Steuerzahler muss für etwas geradestehen, was für unnötig hohe Kosten sorgt und immer noch nicht fertig ist beziehungsweise sich stark in die Länge zieht. Klar, dass der Bundesbürger sich aufgrund dessen – und das wird ebenfalls von den Figuren Thomas, Christina und Markus wunderbar dargestellt durch die immer wieder im Stück aufkommende Phrase „Uns geht das ja nichts an, aber…“ – immens aufregt und sich – wie manch ein Zuschauer vielleicht auch selbst nach dem Stück – immer wieder die Frage stellt, wie weit ein Mensch gehen kann, um seine Sucht nach etwas in einen Wahn zu entwickeln.

 

Weitere Termine für „Der Tempelherr“ am Theater Freiburg: 05.12.19 / 10.12.19 / 20.12.19 / 26.12.19 / 10.01.20 / 29.01.20