Lyrik also … Junge Lyrik und Indieverlage in Deutschland

Ein beeindruckendes Bild: der Raum ist voller Leute, die betont lässig, jedoch erkennbar gut angezogen sind. Die einen lauschen der Lesung mit intellektuellen Gesichtern, die anderen blättern in exquisiten, teils handgemachten Neuerscheinungen junger Lyriker. Fragile Gedankengänge werden von zarten, fragmentarischen Sätzen umhüllt. Und auch wenn man es nicht sofort sieht: Lyrik ist die radikalste Form von Literatur, die es derzeit in Deutschland gibt. Radikal, weil sie den meisten Einsatz verlangt. Einsatz von denen, die sie machen, von denen, die sie lesen und von denen, die sie verlegen.

Seitdem sich die großen Verlage immer mehr von der Lyrik abgewendet haben, entstanden in den letzten Jahren zahlreiche unabhängige Lyrikverlage. Ihre Unabhängigkeit behaupten sie, indem sie besonders harte Marktzwänge umgehen und sich dadurch besser auf die Künstler und Texte konzentrieren können: die Verlage sind sehr klein, beziehen alternative Vertriebswege mit ein und stellen Gedichtbände her, bei denen sich der Kauf schon lohnt, wenn man sie nur in der Hand hält. Kräftiges Papier, wunderschöner Satz und Druck, ausgefallene Bindungen und oft ist jedes Exemplar handgemacht. Diese Independentverlage gehen dem Buchmarkt voran, ihre Basis haben sie meist, wie kookbooks, hochroth, das Verlagshaus Berlin, reinecke\&voß, das druckhaus galrev und knapp 100 weitere, in Deutschlands Hauptstädten der Hipness, Berlin und Leipzig.

Getragen werden die Verlage jedoch vor allem durch Enthusiasmus. Da es auf dem deutschen Buchmarkt unrealistisch ist, von Lyrik leben zu können, sind die Verleger gezwungen, sich durch weitere Berufe das Leben zu ermöglichen. Das betrifft selbst die Mitarbeiter eines Verlages wie dem Verlagshaus Berlin, dessen Bücher mit Buchkunstpreisen geehrt werden und die in jeder guten Buchhandlung zu finden sind, allein in Freiburg viermal. Jo Frank vom Verlagshaus meint: „Der Verlag trägt sich selbst, aber uns natürlich nicht. Das heißt, dass man zwei volle Arbeitstage pro Tag hat, wenn der eine Arbeitstag aufhört, fängt der zweite halt an.“ Und wenn man einmal die trockene Wahrheit dieser Äußerung begriffen hat, kann man nur den Enthusiasmus solcher Verleger bewundern. Es ist ganz klar die bewusste Entscheidung für Lyrik! Aber was macht die junge Lyrik aus, dass man soviel für sie hergibt? „Dass man sich von der Welt, wie sie sich präsentiert, erst mal distanzieren kann… Um eine andere Perspektive einzunehmen und dann wieder einzugreifen“, meint Jo Frank. Lea Schneider, eine erfolgreiche junge Lyrikerin aus Berlin, sagt: „Gute Literatur ist für mich immer Literatur, die sich ihrer sprachlichen Verfasstheit bewusst ist, die weiß, dass sie Sprache ist und damit auch arbeitet. Es ist auch so, dass meine Texte meistens, und ich glaube, das geht allen Leuten so, klüger sind als ich. Mein Schreiben funktioniert, indem ich irgendeinen Input kriege, von den unterschiedlichsten Dingen … Es ist aber in den seltensten Fällen so, dass ich mir vornehme, ich schreibe jetzt ein Gedicht über dieses Thema. Und wenn ich mal dachte: Oh Mann, darüber musst du jetzt ein Gedicht schreiben, das ist ein total toller Gedanke, dann sind mir durch Zufall Texte in die Hände geraten, die ich vor drei Monaten geschrieben hatte – und da habe ich gesehen, dass ich diesen Gedanken dort schon wiederfinden konnte. Das Gedicht war schneller als ich selber, zu erkennen, was mich gerade beschäftigt.“

Lyrik ist also nicht bloß Text. Lyrik ist Konzentration. In der Lyrik geht es darum, Situationen oder Gedanken zu verknappen und zu destillieren, damit Bilder unserer Realität hervorkommen, die unendliche Anschlüsse zum Weiterdenken unserer Wirklichkeit haben. Lyrik ist ein Weg des Denkens und ein Blick auf die Welt. Sie ist unsere intensivste Literatur. Ist es da noch eine Frage, sich auf Poesie einzulassen, wenn sie so viel gibt?