Schillers „Maria Stuart“ oder Feministische Machtkämpfe des 16. Jahrhunderts

Es ist zweifellos ein Stück Weltliteratur, welches aktuell auf der Bühne des Theater Freiburgs gezeigt wird. Das wusste auch der Regisseur Martin Kindervater, als er sich an die Inszenierung von Friedrich Schillers „Maria Stuart“ wagte. Dass dieses Werk optimal zur Thematik der aktuellen Spielzeit im Theater Freiburg passt, zeigt Kindervater mit seiner Version davon, welches vergangenen Donnerstag Premiere feierte.

Oft sind es nicht einmal der Familie fremde Menschen, die einem große Schwierigkeiten im Leben bereiten, nein, manchmal liegt diese Feindseligkeit sogar im eigenen Blut. So auch bei Königin Elisabeth, einer der berüchtigtsten und bedeutendsten historischen Figuren Englands, deren verstoßene Schwester Maria Stuart, Königin von Schottland, ihr aufgrund ihrer ebenfalls vorhandenen Ansprüche auf den Thron ein großes Dorn im Auge ist und sie deswegen kurzerhand gefangen nimmt und in einem anderen Schloss internieren lässt. Jegliche Versuche vieler Männer, sie aus dieser Gefangenschaft zu befreien, misslingen. Selbst Mortimer Paulet, der Neffe von Marias Hüter, nimmt den Mordauftrag von Elisabeth nur zum Schein an, um die schöne Schottin aus deren Schlingen zu lösen. Dazu kommt, dass die Königin trotz des ständigen Drucks der Berater und des Volkes zögert, das Todesurteil der Schwester zu unterschreiben.

Martin Kindervater mag zwar am Theater Freiburg bisher ein unbeschriebenes Blatt sein, jedoch haben sich seine erfolgreichen Klassiker-Inszenierungen von „Der Besuch der alten Dame“, „Tod eines Handlungsreisenden“ und „Die Glasmenagerie“ auch bis zu Peter Carp hindurchgesprochen und somit war es nur eine Frage der Zeit, bis man hier sein Premierenstück bewundern darf. Dass er dabei ein unglaublich starkes Gespür für das Ursprungswerk von Schiller hat, beweist er mit „Maria Stuart“ eindrucksvoll, so werden weite Teile des Originaltextes auch im Stück wiedergegeben, was es so am Theater Freiburg lange nicht mehr gab. Das dies jedoch auch viel Geduld und Courage braucht, um so einen Stoff dem Publikum vorzuführen, beweist er mit der Auswahl seiner Darsteller, bei der allen voran Elisabeth Kopp als Maria Stuart auf ganzer Linie zu überzeugen weiß. Ihr furioses wie merkbar leidenschaftliches Spiel verleiht der Inszenierung eine vorher noch nie dagewesene Kraft. Das dieses leidenschaftliche Spiel eine kongeniale Partnerin benötigt, erklärt sich von selbst. Hierbei zeigt Anja Schweitzer ihre Verkörperung von Königin Elisabeth mit viel Souveränität und Sicherheit im Spiel – genau so wie man es auch aus der Inszenierung von „Wut“ von ihr kennt und gewohnt ist. Sicherheit ist bei dieser Inszenierung, allen voran wenn es eine Premiere ist, ein ganz gutes Stichwort, so spielten alle Darsteller mit gesundheitlichen Problemen, eine richtige Generalprobe konnte aufgrund dessen nicht vollzogen werden und somit musste die Premiere dafür hinhalten. Doch diese grippalen Probleme merkte man dem Ensemble zu keinem Zeitpunkt im Stück an, so spielten sie ihre Figuren, als wären sie kerngesund. Ein ganz besonderes Augenmerk darf bei der Darstellerriege wieder einmal auf Lukas Hupfeld gelegt werden, der mit seiner beeindruckenden und dramaturgisch herausragenden Leistung seine Rolle des Mortimer erfüllte. Zu guter Letzt darf, neben den in dieser Spielzeit bereits oft gesehenen Thieß Brammer, Victor Calero und Martin Hohner auch Holger Kunkel, der mit dieser Vorstellung sein 30 jähriges Bühnenjubiläum feierte, mit seiner starken Darstellung des Amias Paulet bzw. Wilhelm Davison nicht vernachlässigt werden.

Wussten es, in ihren Rollen einmal mehr zu überzeugen: Lukas Hupfeld (links) und Anja Schweitzer (rechts) / Foto: Birgit Hupfeld

Was bei Kindvaters Inszenierung sofort auffällt, ist der starke und durchaus auch berechtigte Einfluss von Feminismus bzw. der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dies kann nämlich anhand der Darstellungen von Kopp und Schweitzer so gedeutet werden, dass sowohl damals im 16. Jahrhundert als auch heute im 21. Jahrhundert Frauen in Führungspositionen keine Seltenheit mehr darstellen und sich die männliche Krone der Schöpfung diesem bewusst sein muss. Dabei ist egal, wie die potenziellen Gefährder dieser Position heißen und was diese im Schilde führen. Die Rollen von Hupfeld, Kunkel, Calero, Brammer und Hohner zeigen im Gegensatz dazu auf, das Männer in diesem Sinne bei den aufstrebenden Frauen sich als Hürde herausstellen, um diesen den Weg nach oben stark zu erschweren. Die Tatsache, dass das Buch drei Tage vor der Hinrichtung Stuarts stattfindet zeigt, dass auch Frauen untereinander untergeben sein können und weniger Entscheidungsmacht besitzen als zuvor. Ebenfalls als interessant zu betrachten ist die Darstellung der beiden Hauptfiguren im Verlauf des Stücks. Zu Beginn wird auf beide Charaktere sehr lange eine Kamera gehalten, dies auf einer Wand im Hintergrund projiziert, um dadurch abwechselnd die jeweilige Figur und ihre Nebendarsteller einzuführen und zu zeigen, dass der eingangs bereits erwähnte Feminismus klar im Vordergrund des Regisseurs steht. Im weiteren Verlauf treten beide jeweils auf ihrer Seite (Maria Stuart links, Königin Elisabeth rechts) auf, was eindrucksvoll das distanzierte Verhältnis der Figuren zueinander auffängt. Gegen Ende des Stückes sieht man mehrere Platten wild aufeinandergestapelt. Dies kann man als den endgültigen Bruch der Beziehung beider Schwestern sowie als Bürden, die beide in diesen drei Tagen angesammelt haben, gedeutet werden. Alles in einem kann bei dieser Version von Schillers Meisterwerk der Literatur von einer sehr gelungenen und darstellerisch überragenden Inszenierung gesprochen werden, die nachhaltig im Gedächtnis bleibt und zeigt, dass geschlechtliche Machtkämpfe uns weit über die Zeit des 16. Jahrhunderts in der heutigen Gesellschaft weiterhin beschäftigen.

 

Weitere Vorstellungen von Maria Stuart am Theater Freiburg: 02.02.2020/07.02.2020/14.02.2020/20.02.2020/29.02.2020/06.03.2020/14.03.2020/20.03.2020/15.04.2020/17.04.2020/26.04.2020/23.05.2020