Eine unheimlich komische Tragödie

Einer der bekanntesten und begnadetsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts – diesen Status kann man dem ungarischen Staatsmann Ödön von Horváth zweifellos zuschreiben. Am letzten Sonntag feierte Christina Tscharyiskis Inszenierung von „Kasimir und Karoline“ aus dem Jahr 1932 Premiere am Theater Freiburg.

21 und 5. Nein, dies ist nicht der Name eines neu aufkommenden Kartenspiels, auch wenn die Freiburger Inszenierung ein wenig an ein solches erinnert, sondern die Anzahl an Bühnenstücken und Büchern, die Ödön von Horváth in seinem sehr kurzen Leben umgesetzt hat. Bei „Kasimir und Karoline“ handelt es sich dabei um eines seiner bekanntesten und wichtigsten Werke, in der eine junge Frau namens Karoline ihren arbeitslosen Verlobten Kasimir, welcher aufgrund der Wirtschaftskrise seine Arbeitsstelle verloren hat, nach einem Zwist auf dem Oktoberfest in München verlässt, um wirtschaftlich und gesellschaftlich in Zukunft besser dazustehen. Hier lernt sie auch zahlungskräftigere und wie sie auch sehr gesellschaftskritische Menschen kennen, um ihren ehemals Geliebten vergessen zu machen.

Grandiose Schauspielleistung gepaart mit skurriler und unterhaltsamer Musik

Horváth geht es in seinen Stücken vor allem darum, das Bewusstsein seiner Figuren zu demaskieren, um somit ihr wahres „Ich“ ans Tageslicht zu bringen. Das Tier im Menschen soll so klar und dezent wie möglich zum Vorschein kommen, denn nur so werden die Ängste und Gedanken der Figuren offensichtlich. Dass dies ohne eine komplett funktionierende und agierende Schauspielleistung nicht möglich ist, wird dem Zuschauer bei Tscharyiskis Inszenierung wunderbar vor Augen geführt. Gerade das Trio um Thieß Brammer als Kasimir, Hanna Binder als Karoline und den beim Freiburger Publikum sehr beliebten Lukas Hupfeld als Eugen Schürzinger wissen es punktgenau, die emotionale Zerrissenheit sowie das Streben ihrer Figuren nach einer besseren Gesellschaft auf die Bühne zu bringen. Vor allem das Zusammenspiel zwischen Brammer und Binder beeindruckt durch deren gesellschaftlicher Nähe und später gesellschaftlicher Distanz ihrer Rollen zueinander, sodass man sich gerade bei ihnen immer wieder im realen Leben außerhalb des Theaters wiederfinden könnte. Tim Al-Windawe und Angela Falkenhan brillieren in ihren Nebenrollen als Der Merkl Franz und Dem Merkel Franz seine Erna, indem sie immer wieder durch statische und teils auch explosive Art und Weise Gesellschaftskritik üben. Das ein Stück von Horváth wie „Kasimir und Karoline“ nicht ohne ungewöhnliche und skurrile Musik auskommen sollte, ist in diesem Kontext als logisch anzusehen. So stellt der legendäre Berliner Punkmusiker Rummelsnuff seinem musikalischen Part als Gaukler für eine Welt der Vergnügungen, wobei man dieser bei dieser Inszenierung ein wenig Opportunismus unterstellen kann. Den anderen Teil der Musik wird von einem Zusammenschluss vieler Sänger aus vier Männerchören der Region dargeboten, um die volkstümliche Atmosphäre in Horváths Stück sehr unterhaltsam darzustellen. Hierzu gesellten sich immer wieder Michael Witte und Henry Meyer als die wohlhabenden Geschäftsmänner Rauch und Speer, die immer wieder versuchen, Karoline in die Welt der Reichen zu locken.

Beeindruckten als Schürzinger und Karoline: Lukas Hupfeld und Hanna Binder (Foto: Laura Nickel)

Ödön von Horváth und das Volkstümliche

„Kasimir und Karoline“ spielt, wie bereits zu Beginn erwähnt auf dem weltbekannten und seit über 200 Jahre stattfindenden Münchner Oktoberfest, welches sich in dieser Zeitspanne einer enorm dynamischen gesellschaftlichen Entwicklung konfrontiert sieht. Bei Tscharyiskis Version dieses Stückes spielt dies jedoch eine stark untergeordnete Rolle, um die Depressionen und Exzesse, welcher die Figuren hier gnadenlos ausgesetzt sind und mit denen man sich die Härte des damaligen Lebens in der Zeit vor dem zweiten Weltkriegs sehr gut selbst vor seinem eigenen Auge visualisieren konnte. Vielmehr wird durch das Bühnenbild von Sarah Sassen diese „Unterwelt“ perfekt in Szene gesetzt, so sollen der riesige Gorillakopf und die nebenstehende Faust die morbide Welt des Rummels und der Geisterbahn symbolisieren. Dabei sollen sich hier die Fragen gestellt werden was der Mensch ist und wie tierisch bzw. triebhaft er sein kann. Zudem möchte man durch dieses Bühnenbild sich immer wieder fragen, welche Kräfte in uns wirken und was eigentlich größer ist als der Mensch selbst. Gerade bei „Kasimir und Karoline“ und ganz speziell bei dieser Inszenierung ist das Element des Volkstümlichen sehr schön durch am Anfang runterfallende Tischtennisbälle sowie durch diverse brillante künstlerische Ausdrücke der Darsteller dargestellt. So wie Horváth Theater für das Volk gemacht hat, um dies vor der damals immer stattfindenden gesellschaftlichen Wende zu warnen, so kann auch die Freiburger Fassung von „Kasimir und Karoline“ als Volksstück gedeutet werden, welches dem Zuschauer noch lange in Erinnerung bleiben wird, gerade durch das Ende, in dem alle Figuren sowie musikalischen Akteure durch lautes und fast ohrenbetäubendes Schreien sich eine immer besser werdende Welt wünscht. Wenn man sich die heutige Welt außerhalb des Theaters anschaut, so kann man diesem Ende nur kopfnickend zustimmen. Dieses Stück zeigt, dass Unterhaltung und die gesellschaftliche Realität in Theaterstücken oft stärker beieinander liegen bzw. sich verschmelzen als man es als Außenstehender im Publikum zu glauben mag.

 

Die nächsten Termine von „Kasimir und Karoline“ am Theater Freiburg: 20.10.2019/29.10.2019/03.11.2019/04.12.2019