Ein immer sichtbares Phantom

Es ist offiziell das letzte große Schaffenswerk von Meisterkomponist Giuseppe Verdi, am letzten Samstag hatte sein Falstaff Premiere im Theater Freiburg. Dabei spielen Themen wie Kavallerie, Vertrauen und Liebe eine zentrale Rolle.

„La Traviata“, „Nabucco“, „Rigoletto“, „Aida“, „Don Carlos“, „Otello“… wenn man diese Meisterwerke der Operngeschichte nennt, so geht sein finales Stück, welches einer seiner wenigen Komödien ist und von einem Sir namens John Falstaff, der sich auf Kosten anderer vergnügt, fast ein wenig darin unter. Und doch kann man hierbei, wie bei den anderen Stücken auch, von einem Meisterwerk sprechen. Dabei ist ein Vergleich unter anderem mit Mozarts „Don Giovanni“, welcher in der letzten Spielzeit im Theater Freiburg großen Erfolg hatte, in vielerlei Hinsicht nicht gerade unberechtigt, so ist auch John Falstaff wie Don Giovanni ein Mensch, der das Leben in vollen Zügen genießt, Frauen von anerkannten und reichen Männern verführen möchte und am Ende ganz alleine da steht.

Solisten, die die Figuren zum Leben erwecken

Hierbei beweist Regisseurin Anna-Sophie Mahler ein ideales Händchen, um diese einzigartige und für Verdi völlig ungewohnte Art von Oper dem Freiburger Publikum näherzubringen. Das liegt allen voran an der musikalischen Inszenierung durch Dirigent Fabrice Bollon sowie den Solisten Juan Orozco als Sir John Falstaff und Martin Berner als Ford. Die beiden wussten in jedem Akt, ihre Figur mit einer Leidenschaft und Seriosität auf die Bühne zu bringen, wie man es bei einem Werk von Verdi erwartet. Gerade Orozco überzeugte mit den Darbietungen seiner vielen Arien, aber auch durch sein exzellentes Schauspiel, denn schließlich muss, ja sogar darf der darstellerische Teil bei einer Oper nicht zu kurz kommen. Martin Berner gibt seiner Figur durch seine Stimmgewalt und wie Orozco auch durch sein schauspielerisches Können eine derartige Tiefe, sodass man während der Akte immer wieder das Gefühl bekommt, dass nicht Falstaff, sondern Ford der Hauptcharakter sein könnte. Auch und gerade Roberto Gionfriddo konnte durch seine lustigen und zugleich tragischen Sichtweisen seiner Rolle des Doktor Cajus zu begeistern. Um nun zu den weiblichen Solistinnen zu kommen, so konnten Irina Jae-Eun Park als Alice Ford und Inga Schäfer als Meg Page durch ihre Strahlkraft und ihre humorvolle und unterhaltsame Darbietung ihrer Charaktere das Publikum auf ihre Seite ziehen. Gerade Park hatte eine Art und Weise an sich, so das man auf den Gedanken kommen könnte, dass man Alice Ford auch jeden Tag begegnen könnte.

Überzeugten als Ford und Falstaff: Martin Berner (Mitte) und Juan Orozco (rechts) // Foto: Paul Leclaire

Einfaches Bühnenbild und Verdis Gesellschaftskritik

Wenn man die Thematik von Falstaff näher in Betracht zieht, so kommt man auch bei Anna-Sophie Mahlers Inszenierung nicht darum herum, eine starke Gesellschaftskritik darin zu entdecken. Dies wird unter anderem durch das Szenen- und Bühnenbild von Duri Bischoff, welches für eine Oper von Verdi sehr edel und einfach gehalten wurde. Durch die verschiebbaren Türen und Ecken wurden die Möglichkeiten, durch die Falstaff immer wieder zum geldgebenden Volk hindurchdringt, eindrucksvoll dargestellt. Die Fantasie der anderen Charaktere, dass dieser Kavalier und Lebemann für sie wie ein Phantom ist, welches ihnen überall begegnen kann, kam durch Falstaff selbst, der ihnen aus dem Kleider- oder Geschirrschrank oder der Küche starr entgegenblickte und dadurch ihre Gedanken verrücktspielen ließ, wunderbar zur Geltung. Allgemein kann man sich dadurch selbst als Zuschauer auch die Frage stellen, inwiefern ein immer wieder erscheinendes Phantom das eigene Leben und die eigene alltägliche Handlungsweise negativ oder positiv beeinflussen und das eigene Unterbewusstsein dadurch manipulieren kann. Die Figur des Falstaff kann durch diese Inszenierung auch als eine Art Mensch angesehen werden, den man zweifellos mit einem Individuum aus der heutigen Gesellschaft vergleichen kann: gesellig, gesprächsfreudig und trotzdem nie zufrieden mit dem, was man aktuell in der Welt erlebt und hat. Auch die anderen Charaktere haben über die gesamte Laufzeit des Stückes wie Falstaff über sie selbst immer etwas an ihm auszusetzen, seien es sein Protz, seine List oder seine Gier nach ihnen. Verdi selbst ging es damals mit „Falstaff“ darum, sich würdevoll und mit einigen Augenzwinkern von seinem geliebten italienischen Volk, welches ihn als Komponist und Menschen sehr zu schätzen wusste, zu verabschieden. Seine damalige Idee, dieses Meisterwerk als Komödie auf die Bühnen der Welt zu bringen und seine Gesellschaft ein wenig ins Lächerliche zu ziehen, war also nicht die schlechteste. Um es auf den Punkt zu bringen, kann man sagen, dass „Falstaff“ ein Werk von Verdi ist, welches im heutigen Kontext aufgrund seiner Gesellschaftskritik immer noch polarisieren kann, gerade weil es eines seiner unbekannteren und doch strahlkräftigeren Werke ist. Dies ist auch am Finale der Freiburger Inszenierung schön zu erkennen, da das Stück so endet, dass am Ende alle Falstaff für seine Übeltaten vergeben und das als Volk dargestellte Publikum durch Gesang fragen, ob wir nicht alle eigentlich Lügner sind. Ein Happy End mit Gesellschaftskritik sozusagen, wie geschaffen für die Spielzeitthematik „Wut und Wahn“ des Theaters Freiburg und ein klares Indiz, dass auch letzte Werke von Komponisten großen Namens nicht immer von geringer Bedeutung sein müssen.

Weitere Spielzeiten von Falstaff im Theater Freiburg: 03.10.2019/10.10.2019/16.10.2019/01.11.2019/24.11.2019/04.01.2020/15.02.2020/28.02.2020/07.03.2020/29.03.2020