Die Geister, die sie riefen

Geister begleiten einen Menschen – auch wenn man sie selbst nicht wahrnimmt – sprich in den unverhofftesten Momenten. So ergeht es auch der Protagonistin in Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“, die – von Intendant Peter Carp inszeniert – am Theater Freiburg gespielt wird und auf einer Erzählung von Henry James aus dem Jahr 1898 basiert.

Eine junge Gouvernante wird auf den traumhaften Landsitz Bly geschickt, um sich der Erziehung der beiden Waisenkinder Flora und Miles kümmern. Diese beiden machen zunächst einen unbeschwerlichen Eindruck auf sie, doch im Laufe des Stücks hegt sie den Verdacht, dass beide Kinder mit Geistern von zwei Menschen kommunizieren, die ihnen in der früheren Vergangenheit sehr nahe standen.

Dass Peter Carp ein ausgezeichneter Regisseur ist, hat er in der letzten Spielzeit mit seiner Inszenierung von „Eugen Onegin“ eindrucksvoll bewiesen. Nun also wird man wieder Zeuge von dessen außerordentlichem Ideenreichtum und seiner stark erkennbaren Freude, dieses thematisch doch sehr anspruchsvolle Stück auf die Bühne zu bringen. Dabei wird das Thema von Geistern stark hervorgehoben und so detailgetreu wie möglich dem Zuschauer vor Augen geführt. Ein wichtiger Aspekt davon ist der von Joshua Kohl verkörperte Erzähler, der jeweils zu Beginn und Ende der Inszenierung das Publikum über den Sachverhalt der Geschichte aufklärt, ohne dabei großartig etwas von der Geschichte an sich zu verraten – schließlich soll diese das Publikum selbst erleben. Und doch sind es die Themen von Unschuld, Vertrauen und dunklen Geistern, die Carps Inszenierung stark dominieren.

Wie schon bei „Eugen Onegin“, so beweist Carp auch hier ein gutes Händchen bei der Auswahl der Protagonistin. Mit welch einer Ausdrucksweise die beim Freiburger Publikum äußerst beliebte Solen Mainguené ihre Rolle als Gouvernante wiedergibt, dann möchte man direkt selbst an Geister glauben. Ihren Verlust der Unschuld über die gut zwei Stunden Dauer des Stücks zu beobachten, ist eine wahre Freude, auch wenn die Handlung von „The Turn of the Screw“, die sehr an den Filmklassiker „Schloss des Schreckens“ von 1961 erinnert, eigentlich kein Grund dazu ist. Ein weiteres Highlight im Cast ist der junge Thomas Heinen, der den jungen Miles spielt, der im Stück selbst vom Internat verwiesen wurde. Seine Engelsstimme sowie sein Spiel insgesamt verleiht seiner Figur eine starke Glaubwürdigkeit, sodass man nie wirklich den Anschein hat, dass er Untaten begangen hat und die ganze Zeit nicht mit dem Geist, sondern dem echten Quint – ausgezeichnet gesungen und gespielt von Joshua Kohl – spricht. Diese Glaubwürdigkeit findet man auch in der Figur der Flora von Katharina Bierweiler, die wie Heinen dem Cantus Juvenum Karlsruhe angehört, wieder. Allgemein weiß es der Cast, von seiner Stimm- und Spielgewalt auf sehr hohem Niveau Gebrauch zu machen – ein Niveau, welches man in der Sparte des Musiktheaters in Freiburg auf diese Art und Weise nur von Peter Carp zu sehen bekommt.

Überzeugten in ihren Rollen auf ganzer Linie: Thomas Heine als Miles (links) und Solen Mainguené als Gouvernante (rechts)

Ein Grund dafür, dass man von Anfang an kein Entkommen von der Geschichte mehr hat, ist die Musik von Britten, welche von Gerhard Markson dirigiert wird. Sie engt den Zuschauer wie eine Schraube immer weiter in die Handlung ein und lässt diesen nicht mehr daraus entwischen. Dadurch wird – Alfred Hitchcock in Ehren – eine so hohe Spannung erzeugt, wie man sie selten in einer Oper zu hören und sehen bekommt. Der erzeugten Spannung folgt nahtlos eine Dramatik, wie man es sich von Musiktheatern wünscht – humorvoll, tragisch und abwechslungsreich zugleich. Dass Carp und die von Britten geschriebene Musik jedoch mit dem Humor brechen zeigt, wie wichtig ihnen die Seriosität um die Geisterthematik während des gesamten Stückes ist. Auch das Bühnenbild gibt diese Tragik und das Abwechslungsreichtum eindrucksvoll und simpel wieder, so findet man nichts Weiteres als den Grundriss des Hauses, der während der Laufzeit immer wieder mit den Räumlichkeiten des Landsitzes wechselt. Man fühlt sich hierdurch immer mehr wie die im Titel genannte Schraube, die nicht mehr aus dem Holz herauskommen kann. In diesem Sinne stellt das Holz den Wahnsinn dar, der im Stück durch erotische Obsessionen und mysteriöse Dialoge von Miles mit dem Geist von Quint dargestellt wird, dem die Gouvernante immer schneller verfällt und der Grund dafür ist, dass sie am Ende den Landsitz, wahrscheinlich von den Geistern in den Wahnsinn getrieben und verfolgt, nach einigen Tagen wieder verlässt. Ein Stück welches dem Zuschauer zeigt, dass man selbst seinen eigenen Geistern, an deren Existenz man nicht immer glauben mag, wie eine Schraube nicht entkommen und dadurch mehr als nur Skepsis aufkommen kann: der Wahn des Menschen.

Weitere Vorstellungen von „The Turn of the Screw“ am Theater Freiburg: 18.12.19/20.12.19/12.01.20/23.01.20/31.01.20/16.02.20/15.03.20/19.03.20