„Theater ist eine Begegnung mit Menschen.“ – Ein Interview mit Peter Carp, Intendant des Theater Freiburg

Kurz vor Ende der Spielzeit 2018/2019 des Theater Freiburg hatten wir die Ehre, ein höchstinteressantes Gespräch mit dem Intendanten Peter Carp zu führen. Dabei ging es auch um die menschliche Seite des Theaters sowie den Arbeitsalltags eines Intendanten bzw. Regisseurs und was es bedeutet, Theater weiterhin an Schulen zu fördern und dort einzubinden.

 

Zuerst etwas zu Ihrer Person. Wie sind sie beruflich zum Theater gekommen?

Ich bin über viele Umwege in die Theatersparte gekommen. Ich bin in Hamburg aufgewachsen und habe nach meinem Zivildienst erstmal Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Danach habe ich beim Fernsehen ein Praktikum gemacht, da mich Regie und Geschichten erzählen schon immer interessiert hat. Dann habe ich eine Weile beim Film gearbeitet und weiterstudiert. Da habe ich dann auch ein Praktikum gemacht beim Hamburger Schauspielhaus und war erstaunt, wie viel Zeit man sich nimmt, um über Szenen zu diskutieren. Das kannte ich vom Film nicht, da haben wir immer direkt gedreht und beim Hamburger Schauspielhaus wurde viel über Inhalte diskutiert, das hat mir sehr gut gefallen – so bin ich dann beim Theater gelandet.

 

Was macht für sie das Theatergeschäft an sich aus?

Menschen! Theater ist eine Begegnung mit Menschen, es erzählt von Menschen. Selbst bei einem so großen Betrieb wie das Theater Freiburg mit 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder auch bei einem kleinen Theater mit 15 oder 20 Mitarbeitern geht es immer um Menschen, um die Begegnung von Menschen und um die Geschichten, die man von Menschen erzählt. Man erzählt es ja schließlich für Menschen. Es kommen keine Maschinen, die sich das anschauen, sondern das Publikum besteht aus Menschen.

 

Wie sind sie Intendant hier am Theater Freiburg geworden und was fasziniert sie an dieser Spielstätte?

Man erfährt aus der Presse oder aus der Fachpresse, dass ein Intendantswechsel bevorsteht, ein Intendant oder eine Intendantin geht. In diesem Fall Barbara Mundel, die nach 11 Jahren in Freiburg gesagt hat: „Ich muss beruflich weg aus Freiburg, ich muss was anderes machen.“ Dann hatte ich Kontakt zu Herr von Kirchbach, dem Kulturbürgermeister von Freiburg. Er rief mich an, da er es ein bisschen verfolgt hatte, was wir in Oberhausen bzw. im Ruhrgebiet an Theater machen und fragte mich, ob ich mich nicht für Freiburg interessieren könnte. Anschließend bin ich hierher gefahren, habe mir das Ganze angeschaut und habe mich dann beworben. Da wird man dann zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, es gibt eine Findungskommission aus Theaterexperten und kulturinteressierten Politikern in der Stadt. Diesen Leuten stellt man sein Konzept vor und dann gibt es meistens noch eine zweite Runde, entweder wird man es dann oder nicht.

 

 Wie sieht ein normaler Arbeitsalltag eines Theaterintendanten wie Sie es sind eigentlich aus?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich bin einerseits Intendant und andererseits aber gleichzeitig auch noch Regisseur. Wenn ich also nicht inszeniere, dann sieht der Arbeitstag so aus, dass ich gegen 9 Uhr oder 9:30 Uhr ins Theater komme, wo es dann meistens Sitzungen und Treffen gibt. Ich treffe mich sehr viel mit Tim Lucas (Pressesprecher; d. Red.), um über die Öffentlichkeitsarbeit und die Presse zu reden. Wir haben eigentlich ziemlich regelmäßig einen Termin, schließlich wollen wir das ganze ja auch an die Öffentlichkeit verkaufen, was wir hier produzieren. Des Weiteren gibt es Sitzungen mit der technischen Leitung, mit der Dramaturgie, ich schaue mal bei Proben rein, treffe mich mit den jeweiligen Regie-Teams, schaue, wie die Proben dort laufen. Dann gibt es auch Termine im Rathaus mit Herrn von Kirchbach oder anderen Menschen vom Rathaus, Termine mit der Baubehörde, wenn wir was verändern wollen. Meistens ist am Abend dann immer eine Vorstellung, in die ich reinschaue. Man hat dann Gäste, sprich Kollegen von anderen Theatern, mit welchen man sich in den Vorstellungen trifft. So geht das meistens bis 22 Uhr und dann fahre ich nach Hause.

 

Wie werden die Stücke im Allgemeinen für die jeweilige Spielzeit bzw. die Schauspieler dafür ausgewählt?

Wir haben ja ein Ensemble, Schauspieler*innen sowie Sänger*innen, die hier fest engagiert sind. Da schauen wir dann bei der Auswahl der Stücke, ob wir diese gut besetzen können, ob wir Schauspieler haben, die das gut spielen können. Wir würden zum Beispiel kein Stück ansetzen, für das wir 20 alte Frauen über 80 Jahre benötigen, das wäre sehr ungewöhnlich, da wir diese nicht im Ensemble haben. Gott lob gibt es solche Stücke sehr selten. Wir schauen, dass wir die Schauspieler in dem Stück gut besetzen können. Dann schauen wir über das Jahr gesehen nochmal einzeln auf die Schauspieler und sagen uns dann: „Wenn sie am Anfang und der Ende der Spielzeit eine große Rolle gespielt hat, dann macht das nichts aus, wenn sie mittendrin mal eine kleinere Rolle oder eine Lücke hat.“ Wir müssen natürlich darauf achten, dass die Leute nicht zu viele Lücken haben, da sie dann selbstverständlich frustriert sind. Zudem möchten sie nicht immer eine kleine Rolle spielen, obwohl diese durchaus interessant sind. Natürlich will jeder Schauspieler vorkommen und auch groß vorkommen, da muss dann eine gewisse Gerechtigkeit herrschen. Da wir von all unseren Kolleginnen und Kollegen, die wir engagiert haben, sehr überzeugt sind, können nicht manche die Stars sein und manche bekommen die kleinen Rollen. Das geht dann manchmal über mehrere Spielzeiten, dass man ihnen sagt: „Dieses Jahr wirst du ein wenig kleiner spielen, da du letztes Jahr größere Rollen gespielt hast.“

„Wir müssen natürlich darauf achten, dass die Leute nicht zu viele Lücken haben, da sie dann selbstverständlich frustriert sind.“ – Peter Carp, Intendant des Theater Freiburg über die Auswahl von Schauspieler für die verschiedenen Stücke

Seit wann gibt es die Zusammenarbeit mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg und inwiefern hat es Einfluss auf die Auswahl der Stücke im Bereich des Musiktheaters?

Natürlich machen das Orchester und der Generalmusikdirektor, welcher bei uns Fabrice Bollon ist, und wir den Spielplan für die Opern in gemeinsamer Absprache. Wir planen eine Oper nicht, ohne Fabrice vorher zu fragen, was er davon hält. Er hat dann auch ein Mitspracherecht, das ist ganz klar und wir stimmen uns dann auch ab bei der Besetzung.

 

Wie kam es zur Idee mit dem Jungen Theater?

Das weiß ich leider nicht wie es dazu kam, da es das schon zur Zeit von Barbara Mundel schon gab. Das haben viele Häuser, dass sie eine Sparte haben, die sich speziell für Kinder und Jugendliche interessiert, schließlich ist es eine andere Form, Theater zu machen und setzt auch eine gewisse Expertise voraus. Es kann nicht jeder Regisseur oder Dramaturg, welcher für Erwachsene oder im klassischen Repertoire arbeitet, automatisch auch gut Kinder- und Jugendtheater machen, das ist ein ganz eigenes Segment. Dieses Segment ist hier am Theater Freiburg sehr stark und in sehr, sehr guten Händen. Natürlich hoffen wir, dass die Leute, die sich für das Kinder- und Jugendtheater interessieren, auch in die anderen Stücke kommen.

 

Inwiefern finden Sie es wichtig, dass das Theater immer mehr Einzug in Schule und Bildung findet?

Das finden wir natürlich sehr erfreulich. Wir gehen ja mit unserem Spielplan auch auf den Lehrplan der Schulen ein. Nehmen wir als Beispiel das Stück „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller aus der nächsten Spielzeit. Es ist ein Thriller, ein Machtkampf bzw. Machtthriller zwischen zwei mächtigen Frauen. Das wurde aber von Schiller nicht fürs Lesen geschrieben, sondern dafür, dass man es hört und sieht, es ist also für die Bühne geschrieben. Jetzt lesen das die Schüler in der Schule. Eigentlich aber ist das nur ein Teil dessen, was gemeint ist, denn gemeint ist, dass man es mit Menschen aus Fleisch und Blut erlebt, so hat es sich der Dichter auch gedacht. Deswegen finde ich es gut, wenn die Schule die jungen Menschen anleitet und sie beeinflusst, ins Theater zu gehen, um das Werk so zu überprüfen, wie es eigentlich gedacht ist. Man kann ja auch nicht sagen, dass man Ahnung von Picasso habe, da man viele Bildbeschreibungen gelesen habe, man muss das Bild sehen – möglichst im Original und nicht in der Reproduktion.

 

Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit den Kooperatoren vorstellen (Stichwort ExzellenzInitiative)?

Wir haben einen Freundeskreis – die Theaterfreunde, die das Theater unterstützen, das sind sehr viele. Dann gibt es Donatoren, die Teil des Theaterkreises sind, aber deutlich mehr bezahlen. Schließlich gibt es noch eine kleine Gruppe von Freunden des Theaters oder Unterstützern des Theaters, die sehr viel mehr bezahlen, das sind die Exzellenzen. Die haben zwar kein Mitspracherecht beim Spielplan, natürlich sind wir aber mit ihnen im Austausch. In Hamburg, wo ich herkomme würde man sagen, dass sie „betüddert“ werden, sprich dass man sich um sie kümmert, mit ihnen essen geht und ihnen die Hintergründe erklärt. Das sind Menschen, sprich einzelne Personen. Die tauchen nicht mit einem Logo auf, wollen das ganze anonym machen und somit nicht, dass man ihren Namen erwähnt. Sie wollen einfach nur das Theater oder bestimmte Produktionen unterstützen. Das andere ist dann alles Sponsoring, also Firmen, die uns eine bestimmte Summe an Geld für eine Produktion oder die ganze Spielzeit geben, wenn sie mit ihrem Logo bei uns werben dürfen und wir uns quasi dafür bedanken. Da gibt es unterschiedliche Sponsoringmodelle, wo wir versuchen, mit den Firmen zu kooperieren.

 

 Wie finden sie es, dass Tanzstücke wie zum Beispiel die von der School of Life and Dance hier in Freiburg, aber auch in anderen Theatern in ganz Deutschland, so einen Einklang finden kann bzw. als solche Art von Kunst angenommen wird?

Das finde ich in erster Linie natürlich sehr erfreulich. Es wäre sehr schade wenn wir das machen würden und das Haus wäre leer. Die School of Life and Dance ist eine Initiative von Graham Smith, der auch schon bei meiner Vorgängerin Barbara Mundel hier war. Er ist Tänzer, hat aber dieses partizipatorische und mittlerweile sehr große Projekt School of Life and Dance gegründet – eine riesige Gruppe von Jugendlichen und Kindern, mit denen er Projekte erarbeitet. Parallel dazu haben wir auch noch das Tanztheater, welches jedoch kein eigenes Ensemble hat, sondern es wird geleitet von Adriana Pees, welche internationale Tanzproduktionen ein, welche Profis sind. Manchmal sind dies Kooperationen mit uns, meistens aber jedoch Einladungen. Dadurch hat man hier in Freiburg sozusagen das ganze Jahr über ein internationales Tanzfestival, nur dass das Ganze nicht in einer Woche stattfindet, sondern über das ganze Jahr verteilt.

 

Nun blicken wir etwas in die nahe Zukunft: Was erwartet uns in der kommenden Spielzeit an Höhepunkten im Programm?

Wir haben zwei Begriffe gefunden, welche sich thematisch über die ganze Spielzeit ziehen: Wut und Wahn. Stücke, die sich eben mit Wut und Wahn beschäftigen. Zwei Beispiele: „Wut“ ist ein Stück von Elfriede Jelinek, welches zufällig auch „Wut“ heißt und das wir zu Beginn der Spielzeit im großen Haus zeigen werden. Hierin geht es darum, wie diese Wut plötzlich erscheint in dieser Gesellschaft, wie Leute auf einmal bereit sind, ganz viel zu zerstören und vollkommen intolerant zu werden. Sie sind nicht mehr dazu bereit, eine vielschichtige, demokratische Gesellschaft zuzulassen. Diese Wut kommt aus unterschiedlichen Lagern und hat viele unterschiedliche Gründe, darum geht es Elfriede Jelinek. Es wird bestimmt ein sehr bilderreiches und interessantes Theater, welches der Regisseur macht. Unter dem Stichwort Wahn werden wir eine Oper von Benjamin Britten mit dem Titel „The Turn of the Screw“ zeigen. Es ist eine Geschichte, welche im 19. Jahrhundert auf einem englischen Landsitz spielt, wohin sich eine Gouvernante zur Beaufsichtigung zweier Kinder hinbegibt. Hierbei gibt es aber Gespenstererscheinungen, es ist somit ein bisschen eine Gespensterstory, man weiß nicht genau, ob es diese Gespenster gibt oder die Gouvernante wahnsinnig wird und sich das Ganze nur einbildet, eine sehr spannende Geschichte auf einem englischen Landsitz also. Die junge polnische Regisseurin Ewelina Marciniak, welche mit großem Erfolg „Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare inszeniert hat und von jungen Leuten und Studenten sehr gut angenommen worden ist, wird wiederkommen und sich wieder mit Shakespeare beschäftigen uns zwar mit „Der widerspenstigen Zähmung“, dies aus einer feministischen Sicht erzählt. Wir haben eine ganze Menge junge Regisseure aus verschiedenen Ländern im Programm, welches man sich alles gebündelt anschauen kann. Christina Tscharyiski, eine österreichisch-bulgarische Regisseurin aus Wien, wird „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth machen, Blanka Rádóczy wird von Luis Buñuel „Der Würgeengel“ inszenieren. Zudem wird Małgorzata Warsicka ein Stück inszenieren, von dem wir aber inhaltlich noch nichts wissen. Ein Block von künstlerisch interessanten Frauen sozusagen.

 

Welches Stück hat Sie im Rückblick auf die bisherige Spielzeit bisher am meisten beeindruckt?

Das ist für mich immer ganz schwer zu sagen, ich möchte das auch gar nicht werten. Was mich eigentlich beeindruckt ist, wie gut die Ensembles zusammenarbeiten, wie positiv die Ensembles auch vom Publikum angenommen werden. Wir haben deutlich steigende Besucherzahlen und merken in Gesprächen, dass sich die Menschen sehr für unsere Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne interessieren, auch wenn sie nicht immer mit allem einverstanden sind. Das gehört aber auch dazu, das muss zu Diskussionen führen. Ich möchte jetzt aber kein Ranking machen und sagen: „Dieses Stück war besonders toll und das nicht.“ Das schwankt auch, mal sitze ich in einer Vorstellung und denke mir: „Das war die schönste Vorstellung dieser Spielzeit.“, dann aber denke ich genau dasselbe bei der nächsten Vorstellung, die ich besuche. Ich vergleiche das meistens dann n