Freistuz goes Oscars – die Online-Kolumne zum wichtigsten Filmpreis der Welt

Heute: Rückblick der Verleihung

Mal was Neues, eine Oscar-Verleihung nicht im Dolby Theatre zu erleben, sondern in einem Bahnhof in Downtown Los Angeles. Aufgrund der aktuellen Situation aber notwendig. Wer an diesem Abend die großen Emotionen suchte, wurde größtenteils enttäuscht. Große Gewinner und Verlierer gab es auch dieses Jahr, wenn auch nicht in dem Ausmaß, in dem es manch ein Filmexperte erwartet hatte. Wer waren diese großen Gewinner und Verlierer, gab es Überraschungen und was bleibt von einer in dieser Form hoffentlich einmaligen Veranstaltung?

Maue Veranstaltung, ungewohntes Setting

Ungewohnt. Dieses Wort fasst die 93. Oscar-Verleihung in der Nacht auf den heutigen Montag am besten zusammen. Begonnen hatte dies schon mit der Enttäuschung, wieder mal ohne festen Moderator durch den Abend geführt zu werden, so hätte man gerade in Zeiten von Corona ein bisschen mehr Abwechslung, Humor und Witz benötigt. Lediglich ein vom musikalischen Leiter des Abends, Questlove, durchgeführtes Musikquiz mit einer kleinen Tanzeinlage von Glenn Close sorgte für den größten Lacher. Es fühlte sich an, als würde man das Publikum in der Union Station in Los Angeles, welche von Regisseur Steven Soderbergh gewünscht als Veranstaltungsort das altehrwüridge Dolby Theatre ersetzte, durch die gut drei Stunden Dauer geradezu durchhetzen. Ein gutes Beispiel hierfür war die Gedenkminute für die verstorbenen der Filmbranche aus dem vergangenen und bisherigen Jahr, wozu der Song viel zu schnell war und die Bilder der Verstorbenen zu rapide wieder weg waren wie das sie bereits auf dem Bildschirm zu sehen waren. Was ebenfalls fehlte war die über den Abend verteilte, einzelne Vorstellung der jewiligen Nominierten der Königskategorie „Bester Film“ sowie die Zwischenstimme nach der Bekanntgabe des Gewinners sowie bis auf die Königskategorie kurze Einspieler zu den Nominierten. Die Dankesreden wurden in den meisten Fällen relativ kurz und normal gehalten, was bei der Tatsache, dass dieses Jahr keine Musik den Redner zum Aufhören zwang, sehr überraschend war. Es gab aber auch Ausnahmen, worauf später noch zu sprechen sein wird. Die Nominierten selbst saßen während der Verleihung in einer Art Nebenhalle, andere Nominierte, die den Reiseweg pandemiebedingt nicht auf sich nehmen durften/konnten, wurden zugeschaltet. Ein Novum war ebenfalls, dass die Nominierten für den besten Filmsong ihren Song nicht live vortrugen, sondern diese im Vorfeld aufgezeichnet und in die Pre-Show eingebaut wurden. Für viele der Nominierten sicherlich ungewohnt, so trugen diese in den letzten Jahren doch auch während der Veranstaltung zur Abwechslung bei. Die insgesamt viel zu schnell abgehandelten Kategorien rundeten eine eher maue wie prunkvolle Veranstaltung ab.

Zwei Dankesreden, die unter die Haut gingen

Normalerweise schreibe ich in Rückblicken zu Oscar-Verleihungen wenig bis gar nicht über Dankesreden, da diese meist relativ gewöhnlich mit Dank an Familien- und Filmteam gehalten werden. Es gibt aber auch solche Reden, für die man mal mit seinen eigenen Regeln brechen sollte, was bei Regisseur Thomas Vinterberg und dem Filmschaffenden Tyler Perry definitiv der Fall war. Vinterberg gewann mit seinem Film „Der Rausch“, welcher hoffentlich bald in den Kinos zu bewundern sein wird, den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film. In seiner Dankesrede gedachte er seiner Tochter Ida, die gerade einmal vier Tage nach Drehbeginn bei einem Autounfall ums Leben kam und ihren Vater noch vor Drehbeginn durch lobende Worte über das Drehbuch dazu ermutigte, den Film zu machen. Sie, so Vinterberg unter Tränen, wachte mit Sicherheit über dem Set als Schutzengel und wacht auch hoffentlich heute über dieser Veranstaltung. Da ging auch der sehr innige Dank an Hauptdarsteller und Freund Mads Mikkelsen, vielen vielleicht bekannt durch seine Rolle des LeChiffre in „James Bond: Casino Royale“, bei diesen sehr emotionalen Worten ein wenig unter. Einen weiteren Gänsehautmoment bescherte Tyler Perry, der für seine Verdienste und sein unbändiges Engagement während des vergangenen Pandemiejahres mit dem Jean Hersholt Humanitarian Award, einem Ehrenpreis der Academy, geehrt wurde. In seiner Dankesrede verwies er wortstark darauf, dass er von seiner Mutter so großgezogen wurde, jeglichen Hass gegenüber anderen Rassen, Berufszweigen und Gemeinschaften abzulehnen, was zu minutenlangem Applaus nach der Rede führte. Auch bei seiner Geschichte über eine obdachlose Frau, der er ein paar Schuhe kaufte und dem Gewissen, dass er selbst einmal in dieser Situation steckte, stockte vielen der Atem und rührte die anwesenden Nominierten zu Tränen. Viele Dankesreden bei den Oscars mögen zwar stark politisch sein. Das es aber auch anders geht, haben diese beiden Filmschaffenden eindrucksvoll gezeigt.

Diente dieses Jahr notgedrungen als Veranstaltungsort: die Los Angeles Union Station

Gewinner und Verlierer der Verleihung

Kommen wir nun zum Wichtigsten der ganzen Veranstaltung, den Preisträgern. Hier galt im Vorfeld die Netflix-Produktion „Mank“ von Star-Regisseur David Fincher mit 10 Nominierungen als Topfavorit des Abends, gewinnen konnte er am Ende lediglich zwei Oscars für die beste Kamera und das beste Szenenbild. Komplett leer bei insgesamt sechs Nominierungen ging das ebenfalls von Netflix produzierte und von Regisseur Aaron Sorkin geschriebene wie inszenierte Gerichtsdrama „The Trial of the Chicago 7“ aus. Einen Preis konnte der Film „Promising Young Woman“ mit nach Hause nehmen, völlig überraschend jedoch in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“, so gingen viele hier von einem Oscar für Aaron Sorkin aus. Hierauf folgte eine durchaus humorvolle Dankesrede der Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell, einer der wenigen Ausnahmen neben den oben bereits erwähnten Reden. In der Kategorie „Bestes adaptiertes Drehbuch“ gab es ebenfalls eine Überraschung, so gewann nicht „Nomadland“, sondern das Familiendrama „The Father“, welches laut dem Preisträger Anthony Hopkins auf den Leib geschrieben wurde. Seinen ersten Oscar überhaupt gewann Daniel Kaluuya für seine Rolle des Fred Hampton in „Judas and the Black Messiah“. Neben diesem gewann der Film noch den Preis für den besten Filmsong. Den Oscar für die beste Nebendarstellerin gewann Yoon Yeo-jeong für ihre Rolle in „Minari“. Als „Bester Animationsfilm“ und für die „Beste Filmmusik“ wurde erwartungsgemäß der Pixar-Film „Soul“ ausgezeichnet, welcher aktuell bei Disney+ zu sehen ist. Einen Lichtblick gab es dann doch, als Christopher Nolans „Tenet“, welcher einer der wenigen Blockbuster war, die letztes Jahr im Kino liefen, den Oscar für die besten visuellen Effekte gewinnen konnte. Das auf Amazon Prime abrufbare Musikdrama „Sound of Metal“ über einen gehörlosen Schlagzeuger gewann wie viele Filme an diesem Abend ebenfalls zwei Preise – „Bester Ton“ und „Bester Schnitt“. Großer Gewinner der Verleihung war zweifelsohne „Nomadland“. Der Film über eine Frau, welche ein Leben als Nomadin führen will, gewann in den drei Hauptkategorien „Beste Regie“, „Beste Hauptdarstellerin“ und „Bester Film“ den Oscar. Für Regisseurin Chloé Zhao, deren Kategorie vom letztjährigen Gewinner Bong joon-ho live aus Seoul moderiert wurde, war es gleichzeitig der erste Oscar überhaupt sowie der zweite Preis in der Regie-Kategorie für eine Frau überhaupt. Francis McDormand konnte für ihre großartige Leistung in diesem Film ihren dritten Oscar als beste Hauptdarstellerin ihr Eigen nennen. Bezüglich der wichtigen Darstellerkategorien stellten jedoch nicht wie gewohnt die letztjährigen Gewinner den Sieger des jeweils anderen Geschlechts vor, sondern die Preisträger von 2020, namentlich Joaquín Phoenix und Renée Zellweger, die Gewinner für den „Bester Hauptdarsteller“ bzw. die „Beste Hauptdarstellerin“. Zur größten Überraschung und gleichzeitig auch verwunderlichsten Aktion der Veranstaltung kam es jedoch bei der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“. Viele Buchmacher und Filmexperten sowie die Nominierten im Saal waren sich sehr sicher, dass hier der im August letzten Jahres verstorbene Chadwick Boseman den Preis gewinnen wird. So gestaltete man in dieser Erwartung die Veranstaltung so um, indem man die beiden wichtigen Darstellerkategorien kurzerhand nach der Königskategorie präsentierte, um bei einem möglichen Gewinn Bosemans diesen zum Schluss gebührend zu würdigen. Dies ging gleich in zweierlei Hinsicht gründlich daneben: zum einen, weil Joaquín Phoenix die Kategorie viel zu schnell laudierte und zum anderen, weil der Preisträger am Ende völlig überraschend Anthony Hopkins hieß und somit dieser Effekt verpufft war. Ein wahrlich unrühmliches Ende dieser Verleihung, so ging die Anerkennung über den nicht persönlich anwesenden Hopkins in der Enttäuschung vieler Anwesender unter. Man kann für das nächste Jahr somit nur hoffen, dass diese Veranstaltung in dieser Form und Durchführung einmalig bleibt und wieder so verläuft, wie es sich viele Filmliebhaber vor den Bildschirmen wünschen: Gewohnt.

War die große Gewinnerin des Abends: Regisseurin Chloé Zhao mit ihrem Film „Nomadland“